Kapitel 1

»Lauft weiter, sonst ist die Kälte euer Tod.« Unser Schleuser ist ein schmutziger Mann mit schlechten Zähnen und fragwürdiger Motivation. Aus freien Stücken würde ich ihm niemals vertrauen. Aber in der Dunkelheit der Nacht und den Tiefen des magischen Waldes von Anana, irgendwo zwischen Kikono und Domore, ist er der Einzige, der weiß, wo wir uns befinden und wo wir langgehen müssen. Bliebe ich jetzt stehen, ich würde niemals lebendig zurück oder zu meinem Ziel kommen. Ohne den Schleuser sterbe ich. Allein diese Erkenntnis lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken fahren.

Wenn nur nicht dieser elendig tiefe Schnee wäre. Und der Wind. Seit wir diesen verfluchten Wald betreten haben, fallen die Temperaturen tiefer und tiefer, denn Anana ist die Grenze zwischen uns und denen, zwischen Wärme und Kälte, Kikono und Domore.

Der eisige Wind fährt mir in die dünne Kleidung und wirbelt die paar Strähnen, die sich aus meinen geflochtenen Haaren gelöst haben, quer über das Gesicht. Die Kälte kriecht mir in den Kragen, den Nacken hinauf. Meine Finger sind weiß und taub und gleichen eher denen einer Leiche als eines lebendigen Menschen. Ich spüre nicht mal mehr den Griff meines Schwerts, das ich seit Beginn unserer

Wanderung vor sechzehn Stunden nicht losgelassen habe. Liebend gerne würde ich meine Hände wenigstens für ein paar Minuten in den Manteltaschen aufwärmen. Aber bei den Göttern – ich bin noch nicht bereit zu sterben, also werde ich einen Teufel tun und meine Waffe loslassen. Andererseits – kämpfen mit erfrorenen Fingern? Meine Chancen, lebendig über die Grenze zu kommen, sind verschwindend gering. Nicht, dass sie je groß gewesen wären. Diese Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nie hat sich der Tod so nah angefühlt wie in diesem Moment, in dem ich meine Beine kaum mehr spüre und die Hände mir nicht mehr gehorchen.

Je tiefer wir in den Wald vordringen, desto eisiger wird die Luft. Jeder Atemzug sticht mir in den Lungen, bei jedem Schritt sinken meine Beine knietief in den Schnee. Die Muskeln brennen, mein Atem gleicht mehr einem Hecheln und wären um mich herum nicht zwanzig weitere Männer und Frauen, ich würde den Tränen freien Lauf lassen.

Aber ich darf mich nicht in negativen Gedanken verlieren, darf mich nicht von dem Gedanken runterziehen lassen, wie nah ich meinem Tod bin. Auf der positiven Seite verbuche ich die Stiefel meiner Mutter. Sie sind das einzige, das sie mir vererbt hat, und erweisen sich nach all den Jahren endlich als nützlich. Denn anders als der Rest meiner Kleidung sind sie mit Elchfell gefüttert und das wasserundurchlässige Leder lässt weder Regen noch Schnee eindringen. Sie sind perfekt für dieses Höllenwetter geeignet. Hätte mir meine Mutter doch auch Handschuhe vererbt …

Mehr kann ich der Positivliste zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinzufügen. Meine Hose ist so dünn, dass ich meine Oberschenkel nicht mehr spüre. Ich trage nicht drei, sondern vier Oberteile unter dem dünnen Mantel, aber da keiner der Stoffe wasserdicht oder auch nur im Ansatz wärmend ist, friere ich wie ein räudiges Tier. Kikono-Kleidung ist einfach nicht geeignet für dieses Klima. Bei uns schneit es nicht. Die Temperaturen sinken nie unter zwanzig Grad. Wir können nur bei Wärme überleben. Kälte ist unser Tod. Wie kann er nur glauben, dass ich die richtige für diese Mission wäre?

Die junge Frau neben mir bebt am ganzen Körper. Von ihrer sonnengeküssten Haut schaut nur ein winziges Stück Nase und die Wangen unter den Stoffen hervor, die sie sich um das Gesicht gewickelt hat. Obwohl ihr die Kälte sichtlich zu schaffen macht, scheint ihr der Marsch weniger auszumachen. Sie ist fit. Durchtrainiert. Genau wie der Rest der Gruppe. Ich bin das nicht. Die anderen haben sich auf diesen Marsch vorbereitet. Ich konnte das nicht. Noch vor vierundzwanzig Stunden hatte ich keine Ahnung, dass ich mich bald auf den Weg in den Tod machen würde.

Der Rucksack drückt sich schmerzhaft in meine Schultern, mein Rücken schreit gequält. Ich bin schlicht zu zierlich für all das Gepäck. Wenn mich nicht die Kälte umbringt, dann die Last. Sie wird der Grund dafür sein, dass ich früher oder später in den Schnee kippe und nie wieder aufstehe.

Gestern noch hatte ich keine Ahnung, dass ich durch eine Hölle aus Eis, Schnee und Kälte marschieren würde. Eigentlich wollte ich heute mit Samon in die Bibliothek gehen und mich auf meine Ausbildung vorbereiten. Ich hatte mich so darauf gefreut, Heilerin zu werden. Ich wollte heilen. Seit Ewigkeiten habe ich mich darauf vorbereitet, habe alle Bücher und Essays zum Thema gelesen, die ich finden konnte. Und dann kommen der König und seine Pläne für meine Familie. Alles aus. Vorbei. Nicht nur mein großer Traum. Nein, auch mein Leben. Ich balanciere auf dem Rand einer Klinge und drohe jeden Moment abzustürzen. Die Frage ist nicht, ob ich sterbe. Die Frage ist nur wann. Also: Wie kann er glauben, dass ich die richtige für diesen Mist hier wäre?

Ich wurde nicht verbannt, sondern auf eine ehrenhafte Mission geschickt. Ich soll mich in die Reihen unserer Feinde schmuggeln und dort einen Auftrag erfüllen. Ich soll dem Namen meiner Familie Ehre bringen. Als hätten wir unserem Land nicht schon genug Ehre erwiesen.

Eine Bewegung zwischen den Bäumen neben mir lässt mich herumfahren. Da, versteckt hinter einem Baum, steht ein Fuchs. Er beobachtet uns. Oder nur mich? Unsere Blicke treffen sich und ich bleibe stehen. Ein warmer Schauer durchströmt meinen Körper.

»Hey, was ist los? Warum läufst du nicht weiter?«, fragt mich die junge Frau neben mir.

»Da ist ein Fuchs«, wispere ich. Sofort spannt sie sich an, greift nach ihrer Waffe und späht aufmerksam ins Gebüsch.

»Glaubst du, es ist ein Animan?«

»Ein Animan?«, wiederholt ein Mann in unserer Nähe so laut, dass es der Rest der Gruppe ebenfalls hört. Von jetzt auf gleich sind alle in Alarmbereitschaft, greifen nach ihren Waffen und halten angsterfüllt Ausschau. Der Fuchs aber, dessen Blick mich die ganze Zeit über nicht losgelassen hat – er wirkte warm und vertraut – flieht in die Dunkelheit des Waldes.

»Nein«, sage ich. »Kein Animan. Nur ein Fuchs.«

Erleichtertes Aufatmen bei der gesamten Gruppe. Wäre es ein Animan gewesen, wären wir jetzt vermutlich tot. Getötet von ihm und seinem Vertrauten. Aber er war keiner. Er kann keiner gewesen sein. Was sollte ein Animan, allein und ohne seinen Vertrauten, mitten im Wald von Anana tun? Außerdem sollen sie riesig sein. Dieser Fuchs wirkte aber ganz normal. Nur unglaublich … auffällig. Wie er mich angestarrt hat. Als wolle er durch Blicke mit mir kommunizieren. Ist das normal für ein Tier? Oder geht meine Fantasie mit mir durch?

»Alles okay?«, flüstert die junge Frau neben mir.

Ich nicke. »Die Kälte scheint mich langsam verrückt zu machen.«

»Nicht nur dich. Ich bin übrigens Shanona.«

»Eina.«

»Eina? So wie Eina Lyomal?«

»Genau so.«

»Bei den Göttern! Du bist wirklich eine Lyomal? Okay, wenn ich bis gerade noch Angst hatte, dass wir alle sterben werden, bin ich nun überzeugt, dass uns nichts geschehen kann. Nicht mit einer Lyomal in unserer Gruppe! Okay, aber Moment mal: Du willst …?« Sie kräuselt die Augenbrauen, als ihr klar wird, was wir hier tun und was unser Ziel ist. »Aber warum?«, fragt sie und ich weiß, was sie damit sagen will. Wir Lyomals sind berühmt dafür, unser Mutterland zu verteidigen, dafür zu sterben. Dass ich nun ausgerechnet Teil einer Gruppe Fahnenflüchtiger bin, ergibt wahrscheinlich für niemanden hier Sinn. Im Gegenteil. Allein durch meinen Namen bin ich vermutlich die größte Verräterin von allen.

»Ihr da! Ruhe dahinten!«, flucht der Schleuser und Shanona und ich verstummen. Sie klopft mir auf den Mantel, doch durch die Stoffschichten spüre ich es kaum. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als würde sie nun näher bei mir laufen. Das könnte zwei Gründe haben. Der erste: Sie glaubt wirklich, ich würde ihr auf irgendeine geheimnisvolle Lyomal-Art das Leben retten. Die zweite: Sie befürchtet, ich bin ein Maulwurf, der die ganze Gruppe Fahnenflüchtiger verraten will. Und bei den Göttern, ich würde es tun, wenn ich nicht eine ganz andere Aufgabe hätte. Eine viel größere als ein paar Fahnenflüchtige zu verraten. Wahrscheinlich bleibt sie deshalb so nah bei mir. Sie hofft, mir den Mund zuhalten zu können, falls ich laut schreie. Oder will mich festhalten, sollte ich angreifen oder fliehen wollen. Dabei weiß ich genau, wie viel davon abhängt, dass wir unentdeckt bleiben. Niemand darf uns finden. Sonst sind wir tot.

Die meisten von uns sind jung. Um die zwanzig Jahre, wie ich. Das Alter, in dem man für die Armee eingezogen wird. Das Alter, in dem die meisten fliehen. Entweder nach Domore oder in die Berge, um sich dort auf die Suche nach den Rebellen zu machen.

Als unsere Gruppe gestartet ist, an dem geheimen Treffpunkt in der Kanalisation unter der Stadt, trugen alle entschlossene Gesichter. Ich vielleicht auch, wer weiß. Über die Stunden und über die sinkenden Temperaturen haben sich ihre Gesichter verändert. Alle haben zu kämpfen. Vielleicht zweifeln sie auch. Vielleicht haben sie nun die gleiche Angst, die ich auch habe. Angst zu sterben.

Der Schleuser wirft alle paar Sekunden wachsame Blicke nach rechts und links. Er hat uns ermahnt, immer auf ihn zu achten und stehenzubleiben, sollte er die Hand heben. Bisher hat er das nicht getan, aber jetzt, inmitten des verschneiten Waldes, bleibt er stehen und seine Hand schießt in die Höhe. Sofort steht die ganze Gruppe still, keiner sagt ein Wort und ich wage kaum, zu atmen. Ich lausche, so wie es die anderen vermutlich ebenfalls tun. Shanona blickt sich aufmerksam um und kleine weiße Wölkchen steigen aus ihrem geöffneten Mund in die Kälte auf. Statt weiter in die Schatten des Waldes zu starren, beobachte ich den Schleuser. Was hat er gesehen? Was hat er gehört? Er kennt die Strecke. Ist sie zigmal gelaufen, kennt die Temperaturen und Geräusche. Im Gegensatz zu den meisten von uns ist er passend zur Witterung gekleidet. Eine dicke Fellmütze bedeckt seinen Kopf, eine Felljacke hängt schwer über den breiten Schultern und seine Hose scheint genauso warm gefüttert zu sein wie die Stiefel.

Nach einer Weile senkt er die Hand und geht weiter. Erleichtert atme ich aus und Shanona folgt meinem Beispiel. Lächelnd sehen wir uns an. Doch da stoppt die Gruppe erneut. Die Hand des Schleusers ist wieder erhoben und mein Herz pocht plötzlich lauter und wilder als zuvor. Das ist kein gutes Zeichen.

Ob wir das Ziel je erreichen? Da, wo wir hingehen, wird es nie wärmer als fünf Grad. Ich hasse die Kälte. Ich hasse den Ort, zu dem wir gehen, seine Bewohner. Immer und immer wieder muss ich mir in Erinnerung rufen, weshalb ich das hier tue. Ich tue es für ihn. Für Samon. Mein Bruder würde diese Reise niemals überstehen, geschweige denn die Aufgabe erfüllen können, die unserer Familie auferlegt wurde. Mein Bruder ist nicht wie ich. Und er ist erst recht nicht wie Pakal. Pakal wurde geboren, um zu kämpfen. Er war stark. Er war gesund, mutig. Er war all das, was einen Lyomal ausmacht. Er war all das, was Shanona unter unserem Familiennamen versteht – sie und der Rest der Kikono. Aber ich bin anders. Ich bin weder stark noch mutig. Nur gesund. Das unterscheidet mich von meinem Bruder. Samon war schon als Kind ständig krank und hat dadurch unseren Eltern Sorge bereitet. Asthma. Allergien. Die ständigen Krankheiten sind schuld daran, dass er jetzt schwächlich ist, kränklich. Eine Wanderung wie diese hätte ihn das Leben gekostet. Er hätte sich eine Lungenentzündung eingefangen und wäre daran zugrunde gegangen. Ganz sicher. Und wenn Samon auch noch gestorben wäre – das hätte ich mir nicht verziehen. Nicht nach Pakal. Nicht nach Mutter.

Ich blicke hinauf in den grauen Himmel, versuche, ihn zwischen den immer kahlen Ästen und Zweigen zu entdecken, versuche, die Sonne zu finden. Glitzernde Schneeflocken fallen auf uns herab. Still, seicht, friedlich. Sie schweben auf uns hinunter wie Federn. Ich löse die eiskalte Hand von meinem Schwert und strecke sie aus, fange darin eine Schneeflocke – die erste meines Lebens – und sehe ihr beim Schmelzen zu.

Eine Sekunde später bricht die Hölle über uns herein.

Es sind Kikono. Unsere eigenen Leute. Sie wollen uns Verräter daran hindern, uns dem Feind anzuschließen. Und bei den Göttern, sie haben recht. Sie sollten jeden Einzelnen von uns hängen. Nur mich nicht. Ich muss die Landesgrenze überschreiten. Ich muss meine Aufgabe erfüllen. Aber allein schaffe ich es niemals nach Domore. Wenigstens der Schleuser muss überleben.

Sie kommen von allen Seiten. Brüllend springen sie von den Bäumen auf uns nieder. Klingen blitzen, schlagen klirrend aneinander. Einer der Angreifer stößt das Schwert nach Shanona aus. Ich packe sie am Arm und wirbele sie herum, raus aus der Gefahrenzone, wenigstens für den Moment.

»Danke«, keucht sie, doch für eine Antwort bleibt keine Zeit, denn schon schwingt der Kämpfer sein Schwert erneut nach uns. Ich bin so überrumpelt, dass ich nur noch die Arme hochreißen und schreien kann. Diesmal ist es Shanona, die mich packt und zur Seite zieht – einen Wimpernschlag später jagt der Kikono an mir vorbei und kracht mit Shanona zusammen. Einen Moment lang glaube ich, er habe sie getötet, denn ein furchtbares Röcheln ist zu hören. Doch es ist Shanona, die ihren Dolch aus seinem Körper zieht. Der Angreifer sinkt zu Boden und sie dreht sich nach mir um.

»Wenn du nicht kämpfen kannst, solltest du dich verstecken«, rät sie mir.

»Wer sagt, dass ich nicht kämpfen kann?« Ich ziehe das Schwert meines Vaters aus der Scheide und halte es vor meinen Körper, als wäre es eine brennende Fackel, die uns in der Dunkelheit des Kampfes den Weg weisen soll. Schon kommt der nächste Soldat auf uns zu. Mit einem wilden Kampfgebrüll richtet er das Schwert auf meine Brust, aber ich pariere den Angriff, halte den Hieben so gut es geht Stand. Mein Körper wird durchgeschüttelt und meine tauben Finger sind eindeutig keine Hilfe dabei, das schwere Schwert ordentlich zu halten. Ich bin zu schwach, zu zierlich. Mein Körper ist mein größter Nachteil. Das hat mein Vater gesagt, das haben meine Lehrer gesagt, das hat mein Bruder gesagt. Und ja, mag sein, dass ich für den Schwertkampf zu schwach und zu zierlich bin. Dennoch ist er mein Element. Ich liebe den Kampf Schwert gegen Schwert, Kämpfer gegen Kämpfer. Vielleicht liegt es mir im Blut, vielleicht ist es mein Talent. Aber jedes Mal, wenn ich kämpfe, ist es, als würde die Zeit stillstehen. In einem Duell sehe ich jede Bewegung meines Gegners wie in Zeitlupe, kann alles ganz genau beobachten, analysieren und darauf reagieren. Es ist, als würde die Realität sich extrem verlangsamen. So auch jetzt. Mein Gegner schwingt den Schwertarm gegen meine Seite, ich halte dagegen. Obwohl meine Gegenwehr zu zaghaft ist, zu sanft, kann ich eine Millisekunde gewinnen, mich unter ihm wegducken und ihn mit einem Tritt gegen das Knie zu Fall bringen. Noch während er zu Boden geht, versucht er, mich mit dem Schwert in den Brustkorb zu treffen, aber seine Bewegung ist so langsam – fühlt sich zumindest für mich langsam an – dass ich mühelos ausweiche. Schließlich liegt er unter mir.

»Töte ihn!«, brüllt Shanona, die gegen zwei Angreifer gleichzeitig kämpft und trotzdem noch ein Auge auf mich hat.

»Sag mir nicht, was ich tun soll!«, rufe ich zurück.

Sie hat ja recht. Ich muss ihn töten. Ich weiß, wie es geht, wo ich ihn treffen muss. Ein Stoß in die Kehle und es ist vorbei. Im Training sind wir das zigmal durchgegangen, meine Lehrer und ich. Aber ich habe es nie wirklich getan. Und war froh darüber. Verdammt, ich wollte Heilerin, nicht Soldatin werden.

Die Zeitlupe scheint kein Ende zu nehmen. Der Mann starrt mich aus angsterfüllten Augen an – ihm ist klar, was gleich folgt. Ihm ist klar, dass er sterben wird.

Ich hole zum finalen Schlag aus und er presst die Augenlider fest aufeinander. In letzter Sekunde drehe ich das Schwert und schlage ihm den Griff gegen die Schläfe. Blut fließt und er regt sich nicht mehr. Er ist bewusstlos. Aber nicht tot. Das weiß außer mir allerdings keiner.

Schwer atmend sehe ich mich um. Unser Schleuser ist noch am Leben. Ebenso sieben weitere Personen. Der Rest der Gruppe ist tot und das gilt auch für alle Angreifer. Bis auf einen.

»Wir müssen weiter«, sagt der Schleuser. »In einer Stunde haben wir die Grenze erreicht.« Er wischt die Klinge am Oberteil eines toten Soldaten ab und läuft weiter.

Shanonas Schritte knirschen im Schnee. »Nicht schlecht«, sagt sie und hilft mir auf. »Aber nichts anderes hatte ich von einer Lyomal erwartet. Auch wenn du aussiehst wie eine zarte Elfe.«

»Lyomal?«, fragt ein junger Mann neben uns und sieht mich prüfend an. Seine Augen sind grün wie das Gras in unserem Garten und die Haare so hell wie Heu. Die breiten Schultern und die gigantische Körpergröße verraten mir, dass er zur Front eingezogen worden wäre – wenn er nicht mit diesen Feiglingen fliehen würde.

Er grinst. »Tatsächlich. Rote Haare, das Gesicht blass wie der Tod – du bist eindeutig eine Lyomal. Hey, Leute! Seht euch das an: Wir haben eine echte Lyomal unter uns. Wer hätte das gedacht?« Plötzlich starren mich alle an, selbst der Schleuser, und ich spüre Hitze mein Gesicht hinaufsteigen.

»Wenn sich sogar eine Lyomal den Verrätern anschließt«, fährt der junge Mann fort, »dann können wir nur recht damit haben, der Königsfamilie den Rücken zuzukehren.« Wenn er wüsste, dass ich allen, wie sie hier durch den Schnee stapfen, einen möglichst grausamen Verrätertod wünsche, würde er seine Gedanken für sich behalten.

»Mir wäre es recht, wenn wir kein Aufhebens um meinen Familiennamen machen würden.«

»Schon klar, Süße.« Er legt mir einen Arm um die Schulter. »Ich pass auf dich auf. Mein Name ist übrigens Blairs. Und ich kann dir gerne dabei helfen, unerkannt zu bleiben.« Er zwinkert und lächelt. Unsympathisch ist er mir nicht. Im Gegenteil. Wäre er kein Verräter und ich keine Verräterin unter Verrätern – vielleicht wäre er sogar mein Typ. Shanona scheint das ähnlich zu sehen. Jedenfalls grinst sie mich vielsagend an.

Kapitel 2

Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir die Grenze. Ich sollte erleichtert sein, aber ich spüre nichts als Schmerz. Mein gesamter Körper fühlt sich taub an. Wie aufgezogen setze ich einen Schritt vor den anderen, wobei meine Füße in knietiefem Schnee versinken und ich bei jedem Schritt um mein Gleichgewicht kämpfe. Shanona bleibt dicht neben mir und hat mir bereits so oft geholfen, auf den Beinen zu bleiben, dass sie meinen Arm gar nicht mehr loslässt.

»Weiter!«, drängt sie mich und klingt dabei, als wisse sie genau, dass ich kurz davor bin, mich in den Schnee fallenzulassen, um für immer in dieser Hölle aus Kälte und Eis liegenzubleiben.

»Da hinten ist unser Ziel«, sagt der Schleuser und deutet auf den Horizont. »Auch wenn es nicht mehr weit ist: Jetzt kommt der tödlichste Teil der Strecke. Ich habe zu viele in dieser Eishölle verloren, um euch nicht zu warnen. Geht immer weiter, bleibt zusammen und verliert das Ziel nicht aus den Augen.«

»Warum kommt uns niemand entgegen?«, fragt Blairs. »Die müssten doch froh sein, dass wir uns ihnen anschließen wollen.«

»Froh? In ihren Augen seid ihr Verräter. Ihr müsst euch ihr Vertrauen erst erkämpfen. Domore schenken euch nichts. Nicht bevor ihr ihnen gezeigt habt, dass ihr alles gebt. So lange werdet ihr ohne ihre Hilfe auskommen müssen.«

»Als wenn das der einzige Grund wäre«, raunt Shanona und blickt düster auf die Burg in der Ferne.

»Wie meinst du das?«, frage ich mit bibbernden Lippen.

»Die Ebene vor uns wird die Todeszone genannt. Sie ist die letzte und tödlichste Hürde für alle, die eine Ausbildung auf Blossom Chill machen wollen. Keiner geht freiwillig hier hinaus.«

»Blossom Chill«, wiederhole ich nachdenklich.

»Wegen der Kälte«, erklärt Blairs. »Der Kälte des Landes und der Kälte der Ausbilder.« Dass die Ausbilder hart sind, darauf hat mich mein Vater vorbereitet. Wir wissen nicht viel über die Domore, aber doch genug über ihr Ausbildungssystem. Sie lehren ihre Studenten das Kämpfen auf die härteste, unmenschlichste Art. Außerdem haben sie die Animan. Die helfen ihnen auf der Akademie und im Krieg. Aber eben nur denen. Kikono bekommen keine Hilfe von Animan. Wir sind auf uns allein gestellt.

Dass die Domore die Animan auf ihrer Seite haben, ist unser Verderben. Gegen diese mächtigen Wesen können wir kaum etwas ausrichten. Die Domore wissen das. Deshalb fühlen sie sich wertvoller. Deshalb sind sie ein solch überhebliches Volk. Wir dagegen haben nichts als unsere Waffen und unsere Bereitschaft, bis auf den letzten Tropfen Blut zu kämpfen. Das macht uns Kikono so stark: Dass wir fair kämpfen, Soldat gegen Soldat, und niemals aufgeben.

Für mich ist das Fehlen eines solchen Animan an meiner Seite nur ein weiterer von unzähligen Gründen, weshalb ich nicht das Ende dieser Ausbildung erreichen werde. Vorher sterbe ich wegen zig anderer Hürden. Ich könnte allein wegen meines Nachnamens von einem anderen Kadetten getötet werden. Meine zierliche Figur wird bei der harten Ausbildung ein großer Nachteil sein. Ich wäre nicht die Erste, die an Erschöpfung stirbt. Nicht zuletzt könnte ich beim Versuch sterben, meinen Auftrag zu erfüllen.

Eine der begehrtesten Positionen nach der Ausbildung ist die eines Gardisten in der persönlichen Garde der Königsfamilie. Jedem ihrer Mitglieder stehen vierzig Gardisten zur Seite. Da es aber nur noch ein einziges Familienmitglied gibt, werden nur noch wenige Gardisten benötigt. Bei unserem triumphalen Angriff auf die Königsfamilie vor zwei Mondzyklen wurden neben zahlreichen Gardisten auch der König, die Königin und der jüngste Sohn des Paares getötet. Einzig die Thronerbin konnte auf ihrem Animan, einem Adler, fliehen. Leider.

Ihretwegen bin ich hier. Sie soll ich töten.

»Es sind nicht die Ausbilder, vor denen ihr euch hüten müsst«, mischt sich der Schleuser ein, der unser Gespräch mitgehört hat. »Es ist der Kommandant, vor dem ihr euch verstecken solltet. Dem wollt ihr nicht auffallen – außer ihr seid lebensmüde.«

»Und wie heißt der Typ?«, fragt Shanona.

»Owell.«

Eine Welle aus Hass, Wut und unbändiger Trauer durchströmt meinen Körper. »Doch nicht etwa Jaxon Owell?«, frage ich, bevor ich mich stoppen kann.

»Genau der. Du kennst ihn?«

Ich lecke mir über die eiskalten Lippen. »Flüchtig.«

»Wenn wir vor Sonnenuntergang ankommen wollen, müssen wir weiter. Los, Leute. Und damit das klar ist: Wer stehenbleibt, ist tot.«

Wir treten aus dem Wald und sofort peitscht uns eisiger Wind entgegen. Er treibt die bisher friedlichen Schneeflocken wie spitze Nadeln gegen meine Haut und ich ziehe die Kapuze tiefer. Es hilft nichts. Hier auf dem freien Feld schützt uns nichts vor den tödlichen Böen.

»Gib mir deine Hand«, sagt Shanona und ich bin ihr unendlich dankbar. Doch als ich meine Finger mit ihren verschränke, wird mir klar, dass sie nicht allein mir hilft – sie hilft auch sich selbst. Sie hält sich an mir fest, denn zu zweit kann uns der Wind nicht so leicht aus der Bahn werfen. Ich blinzele zwischen den Schneeverwehungen hindurch und kann den kahlen Berg mit der darauf thronenden Burg – Blossom Chill – in der Ferne erkennen. Noch ist der Himmel weiß vom Schnee. Aber der Schleuser hat recht. Nicht mehr lange und wir laufen in völliger Dunkelheit. Dann sind wir verloren.

Die Burg ist vollständig von einer Mauer umgeben, hinter die noch kein Mensch blicken konnte. Jedenfalls keiner, der danach nach Kikono zurückgekehrt wäre. Wenn es dunkel wird, werden uns ihre Lichter keine Orientierung bieten. Wir werden ziellos umherirren.

»Komm schneller«, rufe ich in den Schnee und Shanona gehorcht. Wir überholen Blairs, der sich an meine rechte Seite hängt.

»Lass mich los!«

»Du solltest mir lieber danken, Lyomal. Mein Körper schützt deinen vor dem Orkan.«

»Das ist kein Orkan.«

»Noch nicht, das stimmt. Aber warts ab.«

Eine Stunde später färbt die untergehende Sonne den Himmel orange und rosa. Es könnte ein schönes Bild sein. Wenn es nicht bedeuten würde, dass uns keine weitere Stunde bleibt, um den Berg zu erklimmen. Die kahle Mauer der Burg ragt über unseren Köpfen empor. Der Berg ist aus der Nähe betrachtet tatsächlich nicht mehr als ein Hügel. Keine Bäume, nur verschneite Büsche. Der Schleuser sieht sich nach unserer Gruppe um, seufzt und stapft weiter. Was zur Hölle? Wir drei sind direkt hinter ihm – aber was ist mit den anderen? Durch den tosenden Sturm habe ich gar nichts mitbekommen. Haben wir jemanden verloren?

Ich blicke mich um und erstarre. Blairs rüttelt mich am Arm und zwingt mich weiter. »Nicht umsehen.«

»Sie sind alle weg, Blairs.«

»Sie sind tot.«

»Tot? Wann …? Bist du sicher?« Mein Körper beginnt, unkontrolliert zu zittern. Wie konnten sie sterben – Männer und Frauen, die stärker waren als ich – aber ich lebe noch? Das ergibt keinen Sinn. »Ich werde sterben.«

»Red keinen Unsinn, Lyomal.«

»Einfach laufen, Eina. Wir müssen weiter.« Shanona umklammert meinen Arm fester, ihr Blick ist wie versteinert.

»Warum sind sie tot, aber ich noch nicht? Sie waren so viel besser auf das hier vorbereitet als ich.«

»Sie sind tot, weil sie keine Allianzen gebildet haben«, erklärt Blairs. »Wir haben vorgemacht, wie es funktionieren kann. Aber keiner von denen ist auf die Idee gekommen, sich zusammenzuschließen. Lektion Nummer eins bei den Domore: Nur in der Gruppe überlebst du.«

Ein lautes Krächzen lässt uns erschrocken stehenbleiben und die Blicke zum Himmel richten. Über uns jagen drei enorm große Vögel durch das Schneetreiben.

»Sind das Falken?«, fragt Blairs.

»Zwei Falken, ein Adler«, sage ich. Es ist das erste Mal, dass ich magische Wesen aus dem Reich der Domore zu Gesicht bekomme. Mein Bruder und mein Vater haben mir von ihnen erzählt, von ihren Dimensionen. Aber ich hatte ja keine Ahnung. Die Vögel sind mindestens drei Meter lang, die Flügel haben eine Spannweite von sechs Metern oder mehr. Selbst von hier unten kann ich Reiter auf ihren Rücken sitzen sehen. Bewaffnete Domore, die in die Nacht aufbrechen. Wahrscheinlich auf dem Weg, um Kikono anzugreifen.

»Wir müssen uns beeilen«, ruft der Schleuser. »Müssen ankommen, bevor sie die Tore schließen.«

»Die Tore werden geschlossen?«, fragt Shanona.

»Ja«, gibt der Schleuser zurück. »Und dann herrschen hier draußen die Animan.« Er beschleunigt seine Schritte. Der Mann ist längst nicht mehr der Jüngste, aber man sieht ihm an, dass er es gewohnt ist, weite Strecken zu laufen. Der Kerl hat Durchhaltevermögen, eindeutig. Und ich hätte Respekt vor ihm, wenn er nicht Verräter zu unserem Feind schleusen würde.

»Was passiert, wenn die Tore geschlossen sind?«, fragt Blairs.

»Dann müssen wir im Freien übernachten und sind den Animan schutzlos ausgeliefert.«

»Aber die würden uns doch nichts tun, oder?« Blairs klingt, als habe er sich seine Frage gerade selbst beantwortet.

»Haben Sie das schon mal gemacht?«, frage ich. »Draußen übernachtet?

»Nein. Aber Kollegen.«

»Irgendwelche Tipps?«, fragt Blairs.

»Ja. Wir sollten vorher ankommen.«

Plötzlich ertönt ein gigantisches Brüllen ganz in unserer Nähe.

»Verdammt«, raunt der Schleuser und rennt los.

Blairs, Shanona und ich sehen uns an. Im nächsten Moment rast ein gigantischer Schatten über unsere Köpfe hinweg und macht dabei ein Geräusch wie ein überdimensionierter Raubvogel.

»Lauft!«, ruft Blairs und schubst Shanona und mich vorwärts.

Shanona lässt meine Hand los und sprintet den Berg hinauf wie eine Hyäne. Wo holt sie nur die Energie her? Blairs und ich folgen ihr. Neben mir, verborgen hinter einem Busch, glaube ich, helles Fell zu sehen. Über mir kreischt ein Vogel. Ich schaue hinauf und erstarre: Ein gigantischer Greifvogel stürzt im Sinkflug auf uns herab. Er visiert Blairs an, will sich auf ihn stürzen, ihn packen – wahrscheinlich hat er ihn zum Abendessen auserkoren. Mit einem mutigen Satz werfe ich mich auf Blairs, reiße ihn zu Boden und lege die Hände schützend über meinen Kopf. Gleich wird mich dieses Biest packen, gleich.

Stattdessen ertönt ein tiefes Brüllen, das mir durch Mark und Bein geht. Ich spicke zur Seite und sehe das gigantische Bein eines Tieres direkt neben mir zum Sprung ansetzen. Das mit weißem Fell bedeckte Tier springt ab und kollidiert mit etwas direkt über uns, das einen grauenvollen, winselnden Ton von sich gibt.

»Lauft weiter!«, schreit Shanona.

Ich vertraue ihr. Keine Ahnung, warum, aber ich tue es. Also komme ich auf die Füße, helfe Blairs hoch und gemeinsam rennen wir weiter, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Ich bin keine gute Läuferin. Nicht, dass es in meinem bisherigen Leben von Bedeutung gewesen wäre, ob ich schnell rennen kann oder nicht. Schließlich wollte ich Heilerin werden. Wollte Verletzten helfen. Meine Ausbildung hat sich auf das Versorgen und Heilen von Wunden konzentriert. Körperlich wurde ich nicht auf die Front vorbereitet. Oder auf den Kampf. Alles, was ich mit dem Schwert zuwege bringe, haben mir mein Vater und mein Nahkampfausbilder beigebracht. Kurzum: Meine Fähigkeiten mit dem Schwert sind nicht mehr als ein Hobby. Aber jetzt renne ich wie eine Wahnsinnige.

Die anderen sind mir schon nach kurzer Zeit um einige Meter voraus. Aber die Mauer der Burg kommt näher und näher. Meine Oberschenkel brennen, meine Lunge droht zu kollabieren, aber ich bleibe nicht stehen. Durch das dichte Treiben der Schneeflocken kann ich erkennen, wie der Schleuser das gigantische Tor erreicht.

Und dann bleibt mein Herz stehen. Denn das Tor schließt sich.

Nein!

Nein!

Das darf nicht passieren!

Ich werde sterben, bevor ich überhaupt die Chance hatte, meinen Auftrag zu erfüllen. Wie in Zeitlupe sehe ich die Flügel des Tores aufeinander zu gleiten. Blairs ist der nächste, der es sicher hindurchschafft. Eine ganz in Schwarz gekleidete Person taucht hinter der Mauer auf und stemmt sich gegen das Tor. Shanona prescht an ihr vorbei und ist in Sicherheit. Na toll. Damit bin ich die Einzige, die noch hier draußen ist. Ich werde sterben. Ich werde einsam und verlassen in dieser Hölle aus Eis und Kälte erfrieren. Aber noch gebe ich nicht auf. Mit der Kraft der Verzweiflung treibe ich meine Beine an, noch schneller zu laufen. Nur noch ein Stück. Aber das Tor ist fast geschlossen. Verdammt!

Da streckt der Fremde in seinem schwarzen Umhang und mit der Kapuze auf dem Kopf eine Hand nach mir aus. Sie ist zum Greifen nah.  Entschlossen werfe ich mich ihr entgegen, stürze vor dem Tor, aber die Hand ist stark. Sie reißt mich durch den winzigen Spalt. Ein Glück, dass ich so zierlich bin.

Ich rechne damit, hart und schmerzhaft auf dem Boden aufzuschlagen. Doch das Gegenteil passiert. Ich lande auf etwas Weichem und reiße die Augen auf. Unter mir liegt ein Mann. Ein großer und sehr starker Mann. Seine Kleidung ist pechschwarz, warm und dick. Eindeutig gemacht für die Kälte in Domore. Mein Blick gleitet hinauf zu seinem Gesicht. Zu dem markanten Kinn, den sinnlichen Lippen, der perfekt geformten Nase und den stechendblauen Augen, die in seinem blassen, kantigen Gesicht wie Lichtpunkte leuchten. Sie sind wohl das Kälteste an ihm. Seine Haut ist so weiß wie der Schnee unter uns, das Haar ebenso schwarz wie seine Kleidung. Die Kapuze ist ihm durch unseren Sturz heruntergerutscht und sein Blick liegt düster auf mir. Düster, aber neugierig.

»Danke«, presse ich zwischen zwei Atemzügen hervor. Mir bricht der Schweiß aus und mein Herz pocht wild von dem Lauf, ebenso wie meine Lungen, die mir dieses Sprintfinale brennend übelnehmen.

»Du musst schneller werden«, sagt der Typ mit kalter Stimme, umklammert meine Hüfte mit großen, kräftigen Händen und hebt mich von sich, als wäre ich eine Puppe. Gut, im Vergleich zu ihm bin ich das vermutlich auch – nicht mehr als eine zierliche Puppe.

Elegant steht er auf, zieht sich die Kapuze über den Kopf und betrachtet mich mit einem Blick, der vielleicht abwertend sein sollte, aber es nicht ist. Warum nur habe ich das Gefühl, dass er versucht, ein knallharter Typ zu sein, ich ihn aber aus dieser Rolle herausgerissen habe? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, der Typ hat sich in mich verliebt.

Oder die lange Wanderung spielt meiner emotionalen Intelligenz einen Streich. Das ist auch möglich. Denn der Kerl lässt mich ohne ein weiteres Wort stehen und verschwindet, wobei ihm die Umstehenden Platz machen, als wäre seine Aura vergiftet.

Mit einem lauten Seufzer klopfe ich mir die Kleidung ab und sehe ihm hinterher. Wer auch immer das war, ich hoffe, es war nicht unsere letzte Begegnung. Dieser Mann ist … interessant.

»So viel zum Thema fernhalten«, sagt Blairs hinter mir.

Ich drehe mich zu ihm und Shanona um. Shanona sieht dem Kerl noch immer nach und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

»Wovon redest du?«, frage ich.

»Von Owell natürlich.« Blairs nickt in die Richtung meines Retters. »Das war er. Jaxon Owell. Der tödlichste aller Ausbilder. Der, vor dem uns der Schleuser gewarnt hat. Und du hast gerade auf seiner Brust gelegen.« Er grinst. »Ich würde sagen: Willkommen in der Hölle, Lyomal.«

Jaxon Owell. Das ist Jaxon Owell? Das soll der Mörder meines Bruders sein? Der Mann, den ich töten will? Falls ich nach dem Attentat auf die Prinzessin noch lebe, jedenfalls.

»Komm, Eina«, sagt Shanona und legt mir einen Arm um die Schultern. »Bringen wir uns ins Warme. Da drüben ist das Auffanglager.«

Ins Warme? Leute, an der Blossom Chill Akademie wird es nicht nur warm – es wird heiß. Am 23. Januar 2025 erscheint Blossom Chill – Verrat & Sühne. Zeig mir deine Vorfreude auf diese spicy Dark Academia Romantasy und bestelle das Buch vor.

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