Kapitel 1

»Wenn ihr nicht weiterlauft, ist die Kälte euer Tod.« Unser Schleuser ist ein schmutziger Mann mit schlechten Zähnen und fragwürdiger Motivation. Freiwillig würde ich ihm niemals vertrauen. Aber mittlerweile sind wir so tief in den Wäldern von Anana, dass ich allein weder nach Hause geschweige denn zu meinem Ziel finden könnte. Ohne ihn würde ich sterben. Allein diese Erkenntnis treibt mir eine Gänsehaut über den Rücken. 

Wenn nur nicht auch noch dieser elendig tiefe Schnee wäre. Und der eisige Wind, der mir winzige Nadeln aus Eis ins Gesicht schießt. Selbst hier im Wald, wo wir doch geschützt sein sollten, bläst er mir in meine viel zu dünne Kleidung, frisst sich durch bis auf meine Haut. Die Kälte kriecht mir in den Kragen, den Nacken hinauf. Meine Finger sind weiß und taub und gleichen mehr denen einer Leiche als einem lebendigen Menschen. Ich spüre noch nicht mal mehr den Griff 

meines Schwerts, das ich seit Beginn unserer Wanderung nicht wage, loszulassen. Liebend gerne würde ich meine Hände wenigstens für ein paar Minuten in meinen Manteltaschen aufwärmen. Aber bei den Göttern – ich bin noch nicht bereit zu sterben, also werde ich einen Teufel tun und meine Waffe loslassen.

Aber kämpfen mit erfrorenen Fingern? Meine Chancen, lebendig über die Grenze nach Domore zu kommen, schwinden mit jeder Stunde – nicht, dass sie je besonders groß gewesen sind. Meine Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber der Tod hat sich noch nie so nah angefühlt wie in diesem Moment, in dem ich meine Beine kaum mehr spüre und meine Hände mir nicht mehr gehorchen.

Je tiefer wir in den Wald vordringen, desto eisiger wird es. Jeder Atemzug sticht in den Lungen, meine Füße sinken bei jedem Schritt knietief in den Schnee. Jeder Muskel brennt und die Luft hier ist so dünn, dass ich mehr hechele, als wirklich zu atmen. Wäre ich nicht von zwanzig anderen Männern und Frauen umgeben, ich

würde mich in den Schnee fallen lassen, vor Erschöpfung heulen wie ein kleines Kind und mich auf den Tod vorbereiten.

Auf der positiven Seite verbuche ich die Stiefel meiner Mutter. Sie sind das einzige, das sie mir vererbt hat und erweisen sich nach all den Jahren endlich als nützlich. Denn anders als der Rest meiner Kleidung sind sie mit ihrem Elchfell und dem wasserundurchlässigen Leder für dieses Höllenwetter geeignet – in meinem Land, im Land der Kikono, habe ich sie nie gebraucht und immer als nutzlos empfunden. Jetzt aber werfe ich meiner Mutter vor, dass sie mir nicht auch noch Handschuhe vererbt hat … Mehr kann ich der Positivliste zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht hinzufügen. Meine Hose ist viel zu dünn und meine Oberschenkel fühlen sich taub an. Ich trage nicht drei, sondern vier Oberteile unter meiner viel zu dünnen Jacke, aber da keiner der Stoffe wasserdicht oder auch nur im Ansatz wärmend ist, friere ich wie ein fellloses Tier. Unsere Kikono-Kleidung ist einfach nicht gemacht für dieses Klima. Bei uns gibt es so etwas wie Schnee nicht – außer hier in Anana. Aber hier wohnen wir nicht. Hier sind wir nicht. Hier sind nur die, die sich dem Feind anschließen. Wärme ist unser Leben. Kälte unser Tod.

Die junge Frau neben mir bebt am ganzen Körper und hat ihr Gesicht bis über die Nase in Stoff gewickelt. Obwohl ihr die Kälte sichtlich zu schaffen macht, scheint ihr der Marsch weniger Kräfte zu rauben als mir. Sie ist fit. Durchtrainiert. Wie der Rest der Gruppe. Ich bin das nicht. Die anderen haben sich wochen- vielleicht monatelang auf diesen Marsch vorbereitet. Ich konnte das nicht.

Mein Rucksack auf meinem Rücken drückt schmerzhaft in die Schultern, die Muskeln darunter schreien gequält auf. Ich bin schlicht zu zierlich für all das Gepäck. Wenn mich nicht die Kälte umbringt, dann die Last. Sie wird der Grund dafür sein, dass ich früher oder später in den Schnee falle und nie wieder aufstehe. Gestern noch hatte ich keine Ahnung, dass ich durch eine Hölle aus Eis, Schnee und Kälte marschieren würde. Eigentlich wollte ich mit Samon in die Bibliothek gehen und mich auf mein Studium vorbereiten. Ich hatte mich so auf mein neues Leben gefreut. Medizinerin wollte ich werden. Wollte heilen. So lange habe ich mich darauf

vorbereitet, habe alle Bücher und Essays, die ich finden konnte, dazu studiert. Und dann kommen mein Vater und seine Verpflichtungen. Alles aus. Vorbei. Nicht nur mein großer Traum. Nein, mein Leben. Ich gehe entlang einer Klinge und drohe jeden Moment in den Tod zu stürzen. Die Frage ist nicht, ob ich sterbe. Die Frage ist wann.

Ich wurde nicht verbannt. Ich wurde auf eine ehrenhafte Mission geschickt. Ich soll mich in die Reihen unserer Feinde schmuggeln und dort meinen Auftrag erfüllen. Dem Namen meiner Familie Ehre bringen, wie Vater es genannt hat. Als hätten wir unserem Land nicht schon genug Ehre erwiesen. Nicht genug Opfer erbracht.

Eine Bewegung zwischen den Bäumen lässt mich herumfahren. Suchend spicke ich zwischen die Zweige und Blätter. Da, versteckt hinter einem Busch, kauert ein Fuchs. Er beobachtet uns. Oder nur mich? Unsere Blicke treffen sich und ich bleibe stehen. Ein warmer Schauer durchströmt meinen Körper und ich bebe.

»Warum bleibst du stehen?«, fragt die junge Frau neben mir.

»Da ist ein Fuchs«, wispere ich. Sofort spannt sie sich an, greift nach dem Dolch in ihrem Halfter und späht aufmerksam in die Büsche.

»Ist es ein Animan?«

»Ein Animan?«, wiederholt ein Mann in unserer Nähe so laut, dass es der Rest der Gruppe hört. Von jetzt auf gleich ist der komplette Trupp angespannt, greift nach den Waffen und hält angsterfüllt Ausschau. Der Fuchs aber, der die ganze Zeit über meinen Blick gehalten hat – einen warmen, vertrauten Blick – flieht in die Dunkelheit des Waldes. »Nein«, sage ich. »Kein Animan. Nur ein Fuchs.«

Erleichtertes Aufatmen bei allen. Wäre es ein Animan gewesen, wären wir jetzt vermutlich tot. Getötet von ihm und seinem Vertrauten. Aber das war keiner. Es kann keiner gewesen sein. Was sollte ein Animan, allein ohne seinen Vertrauten, mitten in einem Wald der Kikono? Animan kämpfen an der Front. Unsere Soldaten halten sie davon ab, in unser Königreich zu gelangen. Noch nie wurde ein Animan so weit von der Grenze entfernt gesichtet. Außerdem sollen sie riesig sein. Dieser Fuchs aber war

ganz normal. Nur unglaublich … präsent. Wie er mich angesehen hat. Als wollte er mir mit Blicken etwas sagen. Ist das normal? Oder geht meine Fantasie mit mir durch?

»Alles okay?«, flüstert die junge Frau neben mir.
Ich nicke. »Die Kälte scheint mich verrückt zu machen.« »Nicht nur dich. Ich bin Shanona.«
»Eina.«
»Eina? So wie Eina Lyomal?«
Innerlich stöhne ich auf. »Genau so.«

»Oh mein Gott! Du bist wirklich eine Lyomal? Okay, bis eben hatte ich noch Angst, dass wir alle sterben, aber jetzt! Uns kann nichts mehr geschehen. Wir haben eine Lyomal in unserer Gruppe! Ihr seid die besten Kämpfer der Kikono! … Okay, aber … Du willst …?« Sie kräuselt die Augenbrauen, als ihr klar wird, was wir hier tun und was unser Ziel ist. »Aber warum?«, fragt sie so leise, dass ich sie kaum verstehen kann. Wir Lyomals sind berühmt dafür, unser Mutterland zu verteidigen, ja, sogar dafür zu sterben. Dass ich nun ausgerechnet Teil einer Gruppe Fahnenflüchtiger bin, macht wahrscheinlich für niemanden hier Sinn. Im Gegenteil. Allein durch meinen Namen bin ich die größte Verräterin von allen.

»Ihr da! Ruhe dahinten!«, flucht der Schieber und Shanona und ich verstummen. Sie klopft mir auf die Jacke, doch durch die Stoffschichten spüre ich es kaum. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als würde sie nun näher bei mir gehen. Das könnte zwei Gründe haben. Der erste: Sie glaubt wirklich, ich würde ihr auf irgendeine geheimnisvolle Lyomal-Art das Leben retten können. Die zweite: Sie befürchtet, ich bin ein Maulwurf, der die ganze Gruppe Fahnenflüchtiger verraten will. Und bei Gott, ich würde es tun, wenn ich nicht eine ganz andere Aufgabe hätte. Eine viel größere als ein paar Fahnenflüchtige zu

verraten. Wahrscheinlich ist letzteres der Grund, weshalb sie so nah bei mir geht. Sie hofft, mir den Mund zuhalten zu können, falls ich laut schreie. Oder mich festzuhalten, falls ich angreife oder fliehen will. Dabei weiß ich genau, was davon abhängt, dass wir unentdeckt bleiben. Niemand darf uns finden. Sonst sind wir alle tot. Die meisten von uns sind jung. Um die zwanzig Jahre, wie ich. Das Alter, in dem man für den Krieg eingezogen wird. Das Alter, in dem die meisten fliehen. Entweder nach Domore oder in die Berge, um sich dort auf die Suche nach den Rebellen zu machen, in der Hoffnung, dass sie einen in ihren Reihen aufnehmen.

Als unsere Gruppe gestartet ist, an dem geheimen Treffpunkt in der Kanalisation unter der Stadt, trugen sie alle entschlossene Gesichter. Ich vielleicht auch, wer weiß. Über die Stunden und über die sinkenden Temperaturen aber haben sich ihre Gesichter verändert. Alle kämpfen. Vielleicht zweifeln sie sogar. Vielleicht haben sie nun die gleiche Angst, die auch ich habe. Angst zu sterben.

Der Schieber wirft alle paar Sekunden wachsame Blicke zu den Seiten. Er hat uns erklärt, immer auf ihn zu achten und stehen zu bleiben, sollte er die Hand heben. Bisher hat er das nicht getan, aber jetzt bleibt er stehen und seine Hand schießt in die Höhe. Sofort hält die ganze Gruppe an, keiner sagt ein Wort und ich wage kaum zu atmen. Ich lausche in die ächzende Stille des schneebedeckten, windgebeutelten Waldes und wahrscheinlich tun das gerade alle. Shanona sieht sich aufmerksam um und ich kann im Schein des Mondes die Wölkchen sehen, die aus ihrem geöffneten Mund in die Kälte aufsteigen. Statt weiter in die Dunkelheit zu starren, beobachte ich den Schieber. Was hat er gesehen? Was hat er gehört? Er kennt die Strecke. Ist sie zigmal gelaufen. Er kennt die Temperaturen und Geräusche. Im Gegensatz zu den meisten von uns ist er passend zur Witterung gekleidet. Eine dicke Fellmütze bedeckt seinen Kopf, eine Felljacke hängt schwer über seinen breiten Schultern und seine Hose scheint genauso warm gefüttert zu sein wie die Stiefel. Er senkt die Hand und geht weiter. Erleichtert atme ich aus und so tut es auch Shanona. Lächelnd sehen wir uns an. Der Wald ist pechschwarz, der Mond und der Schnee sind das einzige Licht, das uns den Weg weist. Immer und immer wieder muss ich mir in Erinnerung rufen,

weshalb ich das hier tue. Ich tue es für ihn. Für Samon. Mein Bruder würde diese Reise niemals überstehen und das würde wiederum meinen Vater umbringen. Samon ist schwach und krank, das war er schon immer. Dass sie ihn schicken wollten, war ein Hohn. Eine Strafe – nur wofür? Samon ist kein Kämpfer wie mein Vater. Er ist auch nicht so stark wie Pakal. Pakal war geboren, um zu kämpfen. Er war stark, er war gesund und mutig. Er war alles, was Shanona unter unserem Familiennamen versteht – sie und der Rest der Kimono. Aber ich bin anders. Ich bin nicht mutig, geschweige denn stark. Nur gesund. Das unterscheidet mich von meinem Bruder. Samon war schon als Kind ständig krank. Hat unseren Eltern Sorge bereitet. Asthma. Allergien. Die ständigen Krankheiten sind schuld daran, dass er jetzt schwächlich ist, kränklich. Eine Wanderung wie diese hätte ihn umgebracht. Eine Lungenentzündung, ja. Die hätte er sich eingefangen. Ganz sicher. Und wenn Samon auch noch gestorben wäre – das hätte mein Vater nicht überlebt. Nicht nach Pakal. Nicht nach Mutter. Ich hätte mir das nie verziehen.

Ich blicke hinauf in den Nachthimmel, versuche, ihn zwischen den kalten, von Schnee bedeckten Ästen und Zweigen zu entdecken, versuche die Sterne zu finden. Glitzernde Schneeflocken fallen auf uns herab. Still, seicht, friedlich. Sie schweben auf uns hinunter wie Federn. Ich löse die eiskalte Hand von meinem Schwert, strecke sie aus und fange darin eine Schneeflocke – die erste in meinem Leben – und sehe ihr beim Schmelzen zu.

Eine Sekunde später bricht die Hölle über uns herein.

Es sind Kikono. Unsere eigenen Leute. Sie wollen unseren Trupp aufhalten, uns Verräter daran hindern, sich dem Feind anzuschließen. Und bei den Göttern, sie haben recht. Sie sollten jeden einzelnen von uns hängen. Außer mich. Ich muss die Landesgrenze überschreiten. Ich muss meinen Auftrag erfüllen. Aber allein schaffe ich es niemals nach Domore. Wenigstens der Schieber muss überleben.

Sie kommen von allen Seiten. Mit kämpferischem Gebrüll springen sie von den Bäumen auf uns nieder. Klingen blitzen, schlagen aneinander. Einer der

Angreifer stößt sein Schwert nach Shanona aus. Ich packe ihren Arm und wirbele sie herum, raus aus der Gefahrenzone, wenigstens für diese Sekunde. Damit habe ich eine Verräterin beschützt. Was ist in mich gefahren?

»Danke«, keucht sie, doch für eine Antwort bleibt keine Zeit, denn schon schwingt der Kämpfer sein Schwert erneut nach uns. Ich bin so überrumpelt, dass ich nur noch meine Arme hochreißen und schreien kann. Warum nur habe ich ausgerechnet jetzt mein Schwert losgelassen? Diesmal ist es Shanona, die mich packt und zur Seite zieht – einen Moment später jagt der Kikono an mir vorbei und kracht mit Shanona zusammen. Ein furchtbares Röcheln dringt aus einem der beiden Körper. Doch es ist Shanona, die ihren Dolch aus dem Körper des Kikono-Soldaten zieht. Der Angreifer sinkt tot zu Boden.

»Wenn du nicht kämpfen kannst, solltest du dich verstecken«, rät sie mir.

»Wer sagt, dass ich nicht kämpfen kann?« Gut, jeder, der das sagt, hat recht, aber mir wäre es Recht, wenn diese Tatsache nicht jetzt schon offensichtlich wäre. Ich muss meine Rolle besser spielen. Muss die Lyomal sein, die alle von mir erwarten. Ich ziehe das Schwert meines Vaters aus der Scheide und halte es vor mich, als wäre es eine entzündete Fackel, die uns in der Dunkelheit des Kampfes den Weg weisen soll. Da kommt der nächste Soldat auf uns zu. Mit einem Kampfgebrüll hält er mit seinem Schwert gegen meine Brust, aber ich pariere den Angriff, halte so gut es geht den Hieben entgegen. Mein Körper wird davon durchgeschüttelt und meine tauben Finger sind eindeutig keine Hilfe dabei, das schwere Schwert ordentlich zu halten. Ich bin zu klein, zu zierlich. Mein Körper ist mein größter Nachteil. Das hat mir mein Vater gesagt, das haben mir meine Lehrer gesagt, das hat mir mein Bruder gesagt. Und ja, mag sein, dass ich für den Schwertkampf zu schwach und zu zierlich bin. Dennoch ist er mein Element. Ich liebe den Kampf Schwert gegen Schwert, Kämpfer gegen Kämpfer. Vielleicht liegt es mir im Blut, vielleicht ist es mein Talent. Aber jedes Mal, wenn ich kämpfe, ist es, als würde die Zeit langsamer voranschreiten. In einem Duell kann ich mir jede Bewegung meines Gegners wie in Zeitlupe ansehen, kann alles ganz genau betrachten, analysieren und darauf

reagieren. Es ist, als würde die Realität abgeschalten und ersetzt werden durch einen Zeitlupenfilm. So auch jetzt. Mein Gegner schwingt seinen Schwertarm gegen meine Seite, ich halte dagegen. Obwohl meine Gegenwehr zu zart ist, zu sanft, kann ich eine Millisekunde gewinnen, mich unter ihm wegducken, ihn mit einem Tritt gegen das Knie zu Fall bringen. Noch während er zu Boden geht, versucht er, mich mit seinem Schwert in den Brustkorb zu treffen, aber seine Bewegung ist so langsam – fühlt sich für mich so langsam an – dass ich mühelos ausweiche. Schließlich liegt er unter mir.

»Töte ihn!«, brüllt Shanona, die gegen zwei Soldaten gleichzeitig kämpft und trotzdem noch ein Auge auf mich hat.

»Sag mir nicht, was ich tun soll!«, rufe ich zurück. Ich weiß, sie hat recht. Ich muss ihn töten. Ich weiß auch, wie das geht, wo ich ihn treffen muss. Ein Stoß in die Kehle und es ist aus mit ihm. Im Training sind wir das zigmal durchgegangen, meine Lehrer und ich. Aber ich habe es nie wirklich getan.

Die Zeitlupe scheint kein Ende zu nehmen, der Kampf noch nicht vorbei zu sein. Der Mann sieht mich an – ihm ist klar, was ich tun werde, tun muss. Er weiß, er wird sterben. Ich hole zu meinem finalen Schlag aus und er presst die Augenlider aufeinander. Ich drehe mein Schwert und schlage ihm mit dem Griff gegen die Schläfe. Blut fließt. Er ist bewusstlos. Aber er ist nicht tot. Doch außer mir weiß das keiner. Schwer atmend sehe ich mich um. Unser Schleuser ist noch am Leben. Ebenso sieben weitere Personen unserer Gruppe. Der Rest ist tot, ebenso wie unsere Angreifer. Bis auf einen. Aber das verrate ich nicht. »Wir müssen weiter. In einer Stunde haben wir die Grenze erreicht«, sagt der Schleuser, wischt sich die Klinge am Oberteil eines toten Soldaten ab und geht voran.

»Nicht schlecht«, sagt Shanona. »Aber nichts anderes hätte ich von einer Lyomal erwartet. Auch wenn du aussiehst, wie eine zarte Elfe.«

»Lyomal?«, fragt ein junger Mann neben uns und sieht mir prüfend ins Gesicht. Seine Augen sind grün wie das Gras in unserem Garten und seine Haare so hell wie

Stroh. Die breiten Schultern und seine gigantische Körpergröße verraten mir, dass er zur Front eingezogen worden wäre – wenn er nicht hier mit diesen Feiglingen fliehen würde. Er grinst. »Tatsächlich. Hey, Leute! Seht euch das an: Wir haben eine echte Lyomal unter uns. Wer hätte das gedacht?« Plötzlich starren mich alle an, selbst der Schleuser, und ich spüre Hitze mein Gesicht hinaufsteigen.

»Wenn sich sogar eine Lyomal den Verrätern anschließt«, sagt der junge Mann, »dann können wir nur recht damit haben, der Herrscherfamilie den Rücken zu kehren.«

Wenn er wüsste, dass ich allen wie sie hier durch den Schnee stapfen, einen möglichst grausamen Verrätertot wünsche, würde er seine Gedanken für sich behalten. »Mein Familienname ist unwichtig. Gehen wir weiter.«

»Schon klar, Süße.« Der Kerl legt einen Arm um meine Schulter. »Ich pass auf dich auf. Mein Name ist Blairs. Und ich kann dir gerne dabei helfen, unerkannt zu bleiben.« Er zwinkert mir zu und lächelt. Unsympathisch ist er mir nicht. Im Gegenteil. Wäre er kein Verräter und ich keine Verräterin unter Verrätern – vielleicht wäre er sogar mein Typ.

Shanona scheint das ähnlich zu sehen. Jedenfalls grinst sie mir vielsagend zu.

Kapitel 2

Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir die Grenze. Ich sollte erleichtert sein, aber ich fühle nichts außer Schmerz. Mein gesamter Körper ist taub. Wie aufgezogen setze ich einen Schritt vor den anderen, wobei meine Füße in knietiefen Schnee sinken und ich bei jedem Schritt um mein Gleichgewicht kämpfe. Shanona bleibt dicht neben mir und hat mir bereits so häufig geholfen, auf den Beinen zu bleiben, dass sie meinen Arm schon gar nicht mehr loslässt.

»Weiter!«, drängt sie mich und klingt dabei, als wisse sie genau, dass ich kurz davor bin, mich hier in den Schnee zu legen, um für immer in dieser Hölle aus Kälte und Eis zu bleiben.

»Dort ist unser Ziel«, sagt der Schieber und deutet auf den Horizont. »Auch wenn es nicht mehr weit ist: Jetzt kommt der tödlichste Teil der Strecke. Ich habe zu viele in dieser Eishölle verloren, um euch nicht zu warnen. Bleibt nicht stehen, geht immer weiter und verliert das Ziel nicht aus den Augen.«

»Warum kommt uns niemand entgegen?«, fragt Blairs. »Die müssten doch froh sein, dass wir kommen und uns ihnen anschließen wollen.«

»Froh? In ihren Augen seid ihr Verräter. Ihr müsst euch ihr Vertrauen erst erkämpfen. Domore schenken euch nichts. Nicht bevor ihr ihnen nicht alles gegeben habt. So lange werdet ihr ohne ihre Hilfe auskommen müssen.«

»Als wenn das der einzige Grund wäre«, raunt Shanona und blickt düster auf die Burg.

»Wie meinst du das?«, frage ich mit zitternden Lippen.

»Die Ebene vor uns wird die Todeszone genannt. Sie ist die letzte und die tödlichste Hürde für alle, die sich einer Ausbildung auf Blossom Chill anschließen wollen. Die da oben wollen, dass es nur die Stärksten in die Akademie schaffen.«

»Blossom Chill, wie lange habe ich darauf gewartet!«, mischt sich Blairs ein. »Wenn ich schon kämpfen muss, dann auf der Seite der Gewinner.«

Shanona nickt düster. Dass die Domore die Animan auf ihrer Seite haben, ist unser Verderben. Gegen diese mächtigen Wesen können wir kaum etwas ausrichten. Die Domore wissen das. Deshalb fühlen sie sich wertvoller, siegessicher und dazu im Recht. Wir haben dagegen nichts als unsere Waffen und unsere Bereitschaft bis auf den letzten Tropfen Blut für unser Land zu kämpfen. Das macht uns Kikono so stark. Dass wir niemals aufgeben. Shanona und Blairs sind unserer nicht würdig. Keiner hier ist das. Sie sollten stolz darauf sein, für ihr Land und seine Herrscher zu sterben – nicht wie Feiglinge davonlaufen.

Ich trete auf der Stelle. Mir wäre lieber, wir würden weitergehen und nicht mehr länger hier zwischen den Bäumen verharren.

Dass die Ausbildung hart ist, ja, sogar tödlich, davor hat mich mein Vater gewarnt. Auch wenn ich bezweifelt habe, überhaupt die Reise bis hierher zu überleben. Aber jetzt stehe ich hier und nur noch wenige Hundert Höhenmeter trennen mich von der Burg, die sich pechschwarz in den Berg vor uns lehnt.

»Blossom Chill«, flüstere ich. Die Ausbilder auf Blossom Chill sind unerbittlich, ja, tödlich sogar. Darauf hat mich mein Vater vorbereitet. Sie lehren ihre Studenten das Kämpfen auf die härteste, unmenschlichste Art. Domore überleben, allein schon wegen ihrer Animan. Aber Kikono … Nur wenige von uns erreichen das Ende der Ausbildung, aber das spricht sich unter den Verrätern scheinbar nicht rum. Weshalb sollten sie sich sonst für diesen Weg entscheiden?

Für mich ist der Mangel eines Animan an meiner Seite nur ein weiterer von unzähligen Gründen, weshalb ich nicht das Ende dieser Ausbildung erreichen werde.

Vorher sterbe ich an zig anderen Hürden. Ich könnte allein wegen meines Nachnamens von einem anderen Kadett getötet werden. Mit meiner zierlichen Figur könnte ich die anstrengende Ausbildung nicht überleben. Ich wäre nicht die erste. Dabei ist es für meinen Auftrag so wichtig, dass ich die Ausbildung schaffe. Denn eine der begehrtesten Positionen nach der Ausbildung ist die eines Gardisten in der persönlichen Garde der Königsfamilie. Jedem ihrer Mitglieder stehen vierzig Gardisten zur Seite. Da es aber nur noch ein einziges Familienmitglied gibt, reduziert sich die Zahl derer, die für den Job gebraucht werden. Bei unserem triumphalen Angriff auf die Königsfamilie vor zwei Mondzyklen wurden neben zahlreichen Gardisten auch der König, die Königin und der jüngste Sohn des Paares getötet. Einzig die Prinzessin, die Thronerbin, konnte auf ihrem Animan, einem Adler, fliehen. Leider. Ihretwegen bin ich hier. Sie soll ich töten. Ich soll Gardisten an ihrer Seite werden und es tun, sobald sich die Gelegenheit bietet.

»Es sind nicht die Ausbilder, vor denen ihr euch hüten solltet«, sagt der Schieber, der unser Gespräch mitgehört hat. »Es ist deren Boss, vor dem ihr euch besser versteckt. Ihr wollt ihm nicht auffallen – außer ihr seid lebensmüde.«

»Und wie heißt der Typ?«, fragt Shanona.

»Owell.«

Eine Welle aus Trauer, Wut und unbändigem Hass durchströmt meinen Körper. »Doch nicht etwa Jaxon Owell?«, frage ich, bevor ich mich stoppen kann.

»Genau der. Du kennst ihn?«

Ich lecke mir über die eiskalten Lippen. »Nur den Namen.«

»Wir müssen vor Sonnenuntergang ankommen. Los, weiter! Und damit das klar ist: Wer stehen bleibt, ist tot.« Wir treten aus dem Wald und eisiger Wind peitscht uns entgegen. Er treibt die bisher friedlichen Schneeflocken wie spitze Nadeln gegen meine Haut und ich ziehe meine Kapuze tiefer. Es hilft nichts. Hier auf dem freien Feld schützt uns nichts vor den tödlichen Böen.

»Gib mir deine Hand«, sagt Shanona und ich bin ihr unendlich dankbar. Doch als ich meine Hand mit ihrer verschränke, wird mir klar, dass sie nicht allein mir hilft – sie hilft auch sich. Sie hält sich an mir fest, denn zu zweit kann uns der Wind nicht so leicht aus der Bahn werfen. Ich blinzele zwischen den Schneeverwehungen hindurch und fixiere Blossom Chill. Jaxon Owell – ich werde mich an dir rächen! Nichts hält mich davon ab, weder dieser niedliche kleine Sturm, noch dieser lächerliche Berg.

Der Himmel ist weiß vom Schnee und ich blinzele gegen die Flocken an, die mir unablässig auf die Wimpern fallen. Aber der Schieber hat recht. Die Sonne neigt sich und wir sollten uns beeilen. Wenn es dunkel wird, sinken die Temperaturen noch tiefer. Die Burg ist vollständig von einer Mauer umfasst, hinter die noch kein Kikono blicken konnte. Jedenfalls keiner, der nach ihrem Anblick zurückgekehrt wäre. Wenn es dunkel wird, werden wir ihre Lichter nicht als Orientierung haben. Wir werden ziellos umherirren. »Komm, schneller«, rufe ich in den Schnee und Shanona gehorcht. Wir überholen Blairs, der sich an meine rechte Seite hängt.

»Lass mich los!«

»Du solltest mir lieber danken, Lyomal. Mein Körper schützt deinen vor dem Orkan.«

»Das ist kein Orkan.«

»Noch nicht, nein. Wart’s ab.«

Eine Stunde später färbt die untergehende Sonne den Himmel orange. Es könnte ein schöner Anblick sein, wenn es nicht bedeuten würde, dass uns keine weitere Stunde bleibt, um den Berg zu erklimmen. Die kahle schwarze Mauer der Burg ragt über unseren Köpfen empor. Der Berg ist aus der Nähe betrachtet tatsächlich nicht mehr als ein Hügel. Keine Bäume, nur verschneite Büsche. Der Schieber sieht sich nach unserer Gruppe um, seufzt und geht weiter. Was zur Hölle?

Wir drei sind direkt hinter ihm – aber wer ist sonst noch dabei? Durch den tosenden Sturm habe ich gar nichts mitbekommen. Haben wir etwa noch mehr verloren?

Ich blicke mich um und erstarre. Blairs rüttelt mich am Arm und zwingt mich weiter. »Nicht umsehen.«

»Sie sind alle weg, Blairs.«

»Sie sind tot.«

»Aber wann …? Ich verstehe das nicht …« Mein Körper beginnt unkontrolliert zu zittern. Wie es sein, dass Männer und Frauen, die stärker sind als ich, tot sind, aber ich noch lebe? Das macht keinen Sinn. »Ich sterbe.«

»Red keinen Unsinn, Lyomal.«

»Einfach laufen, Eina. Wir müssen weiter.« Shanona umklammert meinen Arm fester, der Blick wie versteinert.

»Warum sind sie tot, aber ich noch nicht? Sie waren so viel besser auf das hier vorbereitet als ich.«

»Sie sind tot, weil sie keine Allianzen gebildet haben«, sagt Blairs. »Wir drei haben vorgemacht, wie es funktioniert. Aber keiner von denen ist auf die Idee gekommen, sich zusammenzuschließen. Lektion Nummer eins bei den Domore: Nur in der Gruppe überlebst du.« Ein lautes Krächzen lässt uns erschrocken stehen bleiben und die Blicke in den Himmel richten. Über uns jagen drei enorme Vögel durch das Schneetreiben. Animan.

»Sind das Falken?«, fragt Blairs.

»Zwei Falken, ein Adler«, sage ich. Es ist das erste Mal, dass ich magische Wesen aus dem Reich der Domore zu Gesicht bekomme. Mein Bruder und mein Vater hatten mir von ihnen erzählt, von ihren Dimensionen. Aber ich hatte ja keine Vorstellung, wie groß sie in Wirklichkeit sind. Sie sind sicher drei Meter lang, mit

einer Spannweite von sechs Metern oder mehr. Selbst von hier unten kann ich die Reiter auf ihren Rücken sehen. Bewaffnete Domore, die in die Nacht aufbrechen. Wahrscheinlich auf dem Weg, um Kikono anzugreifen.

»Wir müssen uns beeilen«, ruft der Schieber. »Wir müssen oben ankommen, bevor sie die Tore schließen.«

»Die Tore werden geschlossen?«, fragt Shanona.

»Ja«, gibt der Schieber zurück und beschleunigt seine Schritte. Der Mann ist lange nicht mehr der Jüngste, aber man sieht ihm an, dass er es gewohnt ist, weite Strecken zu laufen. Der Kerl ist tough, eindeutig. Und ich hätte Respekt vor ihm, wenn er zu unserem Feind nicht Verräter zuschleusen würde.

»Was passiert, wenn die Tore geschlossen sind?«, fragt Blairs. »Dann müssen wir im Freien übernachten.«
»Haben Sie das schon mal gemacht?«, frage ich.
»Nein. Aber Kollegen.«

»Und? Irgendwelche Tipps?«, fragt Blairs.

»Ja. Wir sollten vorher ankommen.« Plötzlich rennt er los. »Schneller, Kinder!«

»Ich fass es nicht! Der Kerl haut ab!«, Blairs ist so überrascht, dass er für einen Moment stehen bleibt.

»Er will unseretwegen nicht krepieren«, sagt Shanona. »Rennt!« Sie lässt von mir ab und sprintet los wie eine Hyäne. Wo holt sie nur die Energie dafür her? Blairs und ich folgen ihr.

Ich bin keine gute Läuferin. Erst recht nicht mit dem Gepäck auf dem Rücken. Nicht, dass es in meinem bisherigen Leben von Bedeutung gewesen wäre, ob ich

schnell rennen kann oder nicht. Ich wollte Heilerin werden. Wollte an die Front, um Verletzten zu helfen. Meine Ausbildung konzentrierte sich auf das Versorgen und Heilen von Wunden. Körperlich wurde ich nicht auf die Front vorbereitet. Meine Kampfkünste sind begrenzt. Alles, was ich mit dem Schwert kann, hat mir mein Vater beigebracht. Kurzum: Meine Fähigkeiten mit dem Schwert sind nicht mehr als ein Hobby.

Die anderen sind mir schon nach kurzer Zeit um einige Meter voraus. Aber die Mauer der Burg kommt näher und näher. Meine Oberschenkel brennen, meine Lunge droht zu zerreißen, aber ich bleibe nicht stehen. Also eines ist klar: Wenn ich nicht in der Kälte krepiere, dann im Anschluss an einer Lungenentzündung. Durch die Schneeflocken kann ich erkennen, wie der Schieber das gigantische Tor erreicht.

Und dann bleibt mein Herz stehen. Das Tor schließt sich.
Nein!
Nein!

Das darf nicht passieren!

Ich werde sterben, bevor ich überhaupt die Chance hatte, meinen Auftrag zu erfüllen. Wie in Zeitlupe sehe ich die Flügel des Tores zusammengleiten. Blairs ist nach dem Schieber der Nächste, der es sicher hindurchschafft. Eine Person, ganz in Schwarz gekleidet, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, taucht hinter der Mauer auf und stemmt sich gegen das Tor. Shanona prescht an ihm vorbei und ist in Sicherheit. Na toll. Damit bin ich die Einzige, die noch hier draußen ist. Ich werde sterben. Ich werde einsam und verlassen in dieser Hölle aus Eis und Kälte erfrieren. Aber noch gebe ich nicht auf. Denn der Typ am Tor tut das auch nicht. Er stemmt sich weiter gegen das Tor. Mit der Kraft einer Verzweifelten treibe ich meine Beine an, noch schneller zu laufen. Nur noch ein Stück. Der Fremde in seinem schwarzen Umhang stemmt sich noch immer mit aller Kraft dagegen, unter seiner Kapuze kann ich seinen

Blick sehen – er schätzt ab, ob ich es schaffen kann. Aber das Tor ist fast geschlossen. Verdammt!

Da streckt er mir eine Hand entgegen. Sie ist nur einen Meter noch entfernt, dann zum Greifen nah. Schließlich werfe ich mich der Hand entgegen, stürze vor dem Tor, aber die Hand ist stark. Sie zieht mich durch den winzigen Spalt zwischen Tor und Mauer und hätte mich zerquetscht, wenn er nicht so beherzt zugegriffen hätte. Ein Glück, dass ich so zierlich bin.

Ich rechne damit, hart und schmerzhaft auf dem Boden aufzuschlagen. Doch das Gegenteil passiert. Ich lande weich, bekomme nicht genug Luft und sehe mich wie wild um. Ich liege auf dem Oberkörper eines Mannes. Eines eindeutig großen und sehr starken Mannes. Seine Kleidung ist pechschwarz, warm und dick. Eindeutig gemacht für die Kälte in Domore. Mein Blick gleitet hinauf zu seinem Gesicht. Zu seinem markanten Kinn, seinen sinnlichen Lippen, der perfekt geformten Nase und den stechendblauen Augen, die in seinem blassen, kantigen Gesicht wie Lichtpunkte leuchten. Sie sind wohl das Kälteste an ihm. Seine Haut ist so weiß wie der Schnee unter uns, sein Haar so schwarz wie seine Kleidung. Seine Kapuze ist ihm durch unseren Sturz hinabgerutscht und sein Blick liegt düster auf mir. Düster, aber interessiert.

»Danke«, presse ich zwischen zwei Atemzügen hervor. Der Schweiß bricht aus mir heraus, mein Herz pocht wild von dem Sprint, ebenso wie meine Lunge, die mir dieses Sprintfinale brennend übel nimmt.

»Du musst schneller werden«, sagt der Typ mit kalter Stimme, umklammert meine Hüfte mit seinen großen Händen und hebt mich von sich, als wäre ich eine Puppe. Gut, im Vergleich zu ihm bin ich das wohl auch – nicht mehr als eine zierliche Puppe.

Elegant steht er auf, zieht sich die Kapuze über den Kopf, betrachtet mich mit einem Blick, der wohl düster und gefährlich sein soll, aber es nicht ist. Für mich liegt darin eine unerklärliche Wärme, eine Vertrautheit, eine Zuneigung … Bei den

Göttern, der Kerl hat mir das Leben gerettet – kein Wunder, dass ich ihn so verherrliche. Dennoch habe ich das Gefühl, dass er versucht, ein knallharter Typ zu sein, aber ich ihn gerade aus seiner Rolle gerissen habe. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, der Typ hat sich gerade eben in mich verliebt.

Oder die lange Wanderung spielt meiner emotionalen Intelligenz einen Streich. Das kann auch sein. Denn der Kerl lässt mich ohne ein weiteres Wort stehen und verschwindet, wobei ihm die Umstehenden Platz machen, als wäre seine Aura vergiftet.

Mit einem lauten Seufzer klopfe ich meine Kleidung ab und sehe ihm hinterher. Wer auch immer das war, ich hoffe, es war nicht unsere letzte Begegnung. Dieser Mann ist … interessant.

»So viel zum Thema fernhalten«, sagt Blairs hinter mir.

Ich drehe mich um. Shanona sieht dem Kerl noch immer hinterher und wischt sich mit dem Ärmel zittrig den Schweiß von der Stirn.

»Wovon redest du?«, frage ich.
»Von Owell, natürlich.« Blairs nickt in die Richtung meines Retters. Nein. Nein, das darf nicht sein. »Das ist nicht …«

»Doch. Das war er Jaxon Owell. Der tödlichste aller Ausbilder. Der vor dem uns der Schieber gewarnt hat. Und du lagst gerade auf seiner Brust.« Er grinst. »Ich würde sagen: Willkommen in der Hölle, Lyomal.«

Jaxon Owell. Das ist Jaxon Owell? Das ist der Mörder meines Bruders? Der Mann, den ich töten will? Falls ich nach dem Attentat auf die Prinzessin noch lebe, jedenfalls.

»Komm, Eina«, sagt Shanona und legt mir eine Hand um die Schultern. »Bringen wir uns ins Warme.«

Ins Warme? Leute, an der Blossom Chill Akademie wird es nicht nur warm – es wird heiß. Am 23. Januar 2025 erscheint Blossom Chill – Verrat & Sühne. Zeig mir deine Vorfreude auf diese spicy Dark Academia Romantasy und bestelle das E-Book vor.

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