Anmerkung der Autorin: 

Dies ist ein Work-in-Progress-Projekt. Alle zwei Wochen – immer sonntags – erscheint das nächste Kapitel aus Jaxons Sicht. Also stay tuned und abonniere meinen Newsletter, wenn du Bescheid wissen möchtest, wann das nächste Kapitel erscheint. 

Und jetzt viel Spaß beim Lesen!

Deine Julie

Ahny betrachtet mich voller Zorn und Stolz. Sie muss mich für verrückt halten. Recht hat sie.

»Du willst mir sagen, dass diese Frau entweder mein Tod ist oder unsere Rettung?«

Ich löse den Blickkontakt mit ihr. Wenn sie das so sagt, klingt es noch viel unsinniger. Aber ja, genau das habe ich gesehen. Meine Visionen diese Frau betreffend sind furchtbar durcheinander. Ich habe Ahny tot gesehen, aber die Frau an meiner Seite. Mehr als das, um genau zu sein. Aber das werde ich meiner Schwester sicher nicht sagen. Das ist privat. Und würde mich nur noch verrückter aussehen lassen: Ich kann unmöglich die Vision teilen, in der ich die Mörderin meiner Schwester nackt und in eindeutigem Akt über mir sehe. 

»Ahny, ich weiß, es ergibt keinen Sinn – noch nicht, jedenfalls. Aber wir sollten meine Vision ernst nehmen.«

»Ich lasse meine Kadetten nicht im Stich wegen deiner wirren Visionen.«

Ich kneife die Lippen zusammen. Sie ist die Prinzessin von Domore und wird schon bald Königin sein. Ich sollte sie nicht verärgern.

»Ach, hör doch auf mit diesem Schwachsinn, Jaxon! Wehe, du wirst einer von diesen Arschkriechern, die mir nicht mehr ins Gesicht sehen können, weil ich sonst ihre wahren Gedanken erkenne!«

Es ist ein verdammter Fluch eine Schwester zu haben, die bei Blickkontakt Gedanken lesen kann. 

»Ahny, von mir aus geh an die Front oder nach Hause und mach Urlaub – das ist mir egal. Aber verschwinde aus Blossom Chill. Wenigstens so lange, bis ich die Situation besser einschätzen kann. Meine Vision war klar, aber so durcheinander, dass ich mir sicher bin, dass sie sich mit der Zeit weiter wandeln wird.« Ja, und zwar entweder hin zum Mord meiner Schwester oder hin zu Sex mit einer verdammt heißen Rothaarigen. Die Kadettin an meiner Akademie sein wird – Jaxon Owell, jetzt hab dich mal im Griff! Kein Sex mit Untergebenen. 

Ahny verschränkt die Arme und wendet sich ab. Sie schaut zum Fenster hinaus, wie sie es immer tut, wenn ihr die Gedanken anderer zu viel werden. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich unvorsichtig war und meine Wangen glühen.

»Du wirst sie lieben«, sagt sie, als wäre es eine Tatsache.

»Ich werde mit ihr schlafen. Das ist nicht dasselbe.«

Sie wendet sich zu mir um und lächelt mitleidig. »Wenn du dich da mal nicht irrst, großer Jaxon Owell.« Sie drangsaliert mich förmlich mit ihrem forschenden Blick. »Wenn es das Lyomal-Mädchen ist, hast du ihren Bruder getötet.«

»Ich weiß.«

»Dafür wird sie dich hassen.«

»Ich weiß.«

»Wie soll das funktionieren, Jaxon? Wie soll sie für unsere Sache kämpfen, wenn sie doch eine Verräterin ist und dich hasst?«

Ich weiß es nicht. Ich denke, die Zeit wird es zeigen.

Ahny nickt. Sie hat meine Gedanken gehört. Ich kenne keine Antwort auf ihre Frage, alles, was ich habe und worauf ich mich verlassen kann, sind meine Visionen. Die haben mich noch nie im Stich gelassen. 

Das Bild der toten Prinzessin in ihrem Zimmer zuckt wie ein Blitz vor meinem inneren Auge auf und ich erstarre. Schlechte Erinnerungen an andere Mitglieder unserer Familie, denen ich nicht mehr helfen konnte, mischen sich darunter und Ahny wendet sich wieder dem Fenster zu, blendet aus, was ich sehe. Der Tod ihrer Familie steht wie ein unausgesprochener Schleier zwischen uns. Warum ich es nicht früher gesehen habe. Warum nur sie überlebt hat. Warum ich sie allein gerettet habe. 

Aber ich konnte ihr die Wahrheit nicht sagen. Ich wage auch jetzt nicht daran zu denken. Aber meine Visionen sind eindeutig – waren es bereits vor Wochen: Ahny wird Königin. 

Oder sie stirbt. Getötet von der rothaarigen Lyomal. 

»Für wie lange willst du mich ins Asyl schicken?«

»Ich schicke dich doch nicht ins Asyl, ich …«

»Für wie lange?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sobald ich das Mädchen sehe, werden meine Visionen klarer. Dann werde ich besser verstehen, was ich gesehen habe. Und du wirst zurückkehren können.«

Ahny nickt. »Gut. Ich habe soeben beschlossen, an die Front zu gehen. Nach Abersyth. Irgendwelche Einwände?«

Ich forsche in meinen Visionen. Sehe eine Schlacht, sehe Ahny kämpfen, aber nicht sterben. »Keine Einwände.«

»Wann wird sie hier sein?«

»In wenigen Minuten.«

»Gut. Schick mir Henry. Wir machen uns bereit für die Abreise. Und von dir, lieber Bruder, möchte ich wöchentlich einen Bericht, wie sich die Lage entwickelt.«

Ich deute eine Verbeugung an, doch statt mich auf royalen Abstand zu halten, tritt sie näher und nimmt mich fest in den Arm. »Pass auf dich auf«, flüstert sie. »Ich kann dich nicht auch noch verlieren. Und was auch immer diese Frau vor hat, ich bin mir sicher, du findest eine Lösung. Ich habe gesehen, was du außer meinem Tod noch gesehen hast. Unsere Freundschaft.«

»Gut möglich, dass dies ein Trugbild ist, Ahny. Du weißt …«

»Ich vertraue deinen Visionen, Jaxon. Sie und ich werden Freundinnen. Das ist es, was du gesehen hast. Du hast nur zu viel Angst wegen der anderen Vision. Du vertraust ihr mehr. Das solltest du nicht tun. Du solltest mehr an das Gute im Menschen glauben.« Sie legt mir die Hand auf die Brust, dort wo mein Herz sitzt. »Pass gut darauf auf.«

»Das werde ich.«

Ich verlasse das Zimmer meiner Schwester und betrete den Flur. Zwei Gardisten halten vor ihrer Tür Wache, darunter mein Freund Henry. Zusammen sind wir durch die Hölle gegangen – mehrmals. Erst als Kinder, später als Kadetten hier auf Blossom Chill, dann in unzähligen Schlachten. Zuletzt im Kampf um das Leben der Königsfamilie. Nur ihm habe ich es zu verdanken, dass ich Ahny aus dieser Hölle rausholen konnte.

»Die Prinzessin will abreisen.«

»Nach Hause? Sich Ruhe gönnen?« Er schmunzelt und ich ziehe eine Augenbraue hoch. 

»Schön wär’s. Sie will nach Abersyth.«

»Sie will kämpfen? Hältst du das für eine gute Idee? Es ist keine zwei Wochen her …«

»So widersprüchlich es klingt, aber ja: In Abersyth ist sie in nächster Zeit sicherer als hier.«

Henry nickt.

»Geh jetzt, sie will die Abreise vorbereiten.«

»Immerhin erwarten mich dort ein paar Grad mehr.«

Dieser Mistkerl. Er weiß genau, wie sehr ich die Kälte hier hasse. 

Legas, wie ist die Lage?

Alles ruhig.

Ich bin am großen Tor, falls du mich brauchst.

Du willst das Menschenmädchen nicht ernsthaft in die Burg lassen?

So ganz sicher bin ich mir damit auch nicht …

Ja. Der Plan ist geschmiedet.

Das ist er allerdings. Ob er gut ist, ist eine andere Frage. Ich schätze, wir müssen einfach dem folgen, was meine Visionen mir sagen. Etwas besseres fällt mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht ein.

Ich werfe mir den Mantel um und beobachte Ahny, Henry und Leron beim Abflug in den nächtlichen Himmel. Das Tor wird in ein paar Minuten geschlossen. Zeit, dass ich mich auf den Weg mache. 

Es gibt Momente, da greifen meine Visionen über. Es ist, als wäre die Realität ein Theaterstück, das nebenbei aufgeführt wird, dem ich aber keine Aufmerksamkeit schenke. Dann lebe ich allein in der Vision, beobachte sie. Ich sehe den Verräter durch das Tor rennen, an mir vorbei. Ich könnte ihn erstechen, könnte ihm direkt zu Beginn einen Strich durch seine verachtenswerte Mission machen. Aber dann würde die Rothaarige sterben. Nein, ich brauche ihn. Er muss mir helfen, sie am Leben zu halten, bis wenigstens der positive Teil meiner Visionen sich erfüllt hat. Ja, sie wird den Krieg beenden. Nur die Sache mit Ahnys Mord passt nicht in das, was ich sehe.

Die Frau mit der sonnengeküssten Haut prescht als nächstes durch das Tor. Sie wird eine gute Kadettin, eine gute Kämpferin. 

In meiner Vision geht das Tor zu. In meiner Vision schafft es die Rothaarige nicht. Sie wird sterben. Ich könnte stehenbleiben, könnte mich um den Verräter kümmern und das Mädchen sterben lassen. Dann würde der Krieg weitergehen. Ein Ende wäre nicht absehbar. Der erfrorenen Leiche des Mädchens würden sich die Tiere des Waldes annehmen. Alles würde bleiben, wie es war. Nichts würde sich ändern. Als meine Entscheidung gefallen ist, verändert sich meine Vision. Sie zeigt jetzt Henrys Tod, zeigt Ahnys Tod, zeigt mir ihre trauernde Tochter – Ahnys ungeborenes Kind. Ich ertrage den Anblick nicht. Dieses sinnlose Sterben hätte nie ein Ende. Niemals. Die Rothaarige muss leben.

Ich lehne mich an das Tor und beobachte den Mann. Sein Name ist Blairs. Ihn werde ich im Auge behalten. Dann kommt die Frau, Shanona. 

Das Tor in meinem Rücken bewegt sich. Es schließt sich. Ich stemme mich dagegen. Da erst kommt die Rothaarige. Sie ist noch viel zu weit weg, als dass sie es schaffen könnte. Ich stemme mich stärker gegen das Tor, doch kann es kaum aufhalten. Der Blick der Rothaarigen wird verbissen. Sie gibt nicht auf. Eher wird sie zerquetscht, als dass sie aufgibt. So sieht sie ihrem Bruder erschreckend ähnlich. Sie ist eine verdammte Kämpferin! Wie er. Wer sie unterschätzt, hat bereits verloren. Und dennoch: SIe wird es nicht schaffen. Meine Vision zeigt deutlich, wie ihre Beine vom Tor eingequetscht werden. Wenn ich nichts tue, stirbt sie einen qualvollen Tod direkt vor meinen Augen. 

Also reiche ich dem Feind die Hand.

Und sie ergreift sie. Mit Schwung ziehe ich sie durch das Tor und kann nicht verhindern, dass mich die Wucht des Aufpralls zurückwirft. Krachend lande ich auf dem gefrorenen Boden und ihr zierlicher Körper auf mir. Ihr Blick gleitet hinauf zu meinem Gesicht und zum ersten Mal sehe ich die Frau, die meine Schwester ermorden wird. Nein, das werde ich verhindern. Ich sehe die Frau, mit der ich schlafen werde. Das werde ich vielleicht geschehen lassen. Auch wenn ich das nicht sollte. Aber sie ist schön. Unglaublich schön. Ihr rotes Haar brennt wie Feuer. In ihrem blassen Gesicht strahlen die grünen Augen wie frisches Gras an einem Frühlingstag an der Front. Wenn alles an der Blossom Chill Kälte ist, ist sie nun der einzige warme Punkt, wie ein einsamer Ofen in einem verschneiten Wald. Ihr Körper strahlt eine Hitze aus, die ich für immer bei mir haben möchte. Wie ich diese Kälte hasse, verdammt. Sie vernebelt mir das Hirn.

»Danke«, presst sie zwischen zwei Atemzügen hervor. Von dem Lauf um ihr Leben liegt ein Schweißfilm auf ihrer Stirn und ihr Atem geht so schnell, dass sie womöglich noch ohnmächtig würde – und das auf mir. Das kann ich auf keinen Fall zulassen.

»Du musst schneller werden«, sage ich, umklammere ihre Hüfte und hebe sie von mir herunter. Wie leicht sie ist. Wie zur Hölle soll dieses zarte, elfengleiche Wesen die Ausbildung überstehen? Meine Vision zeigt mir zig Situationen, in denen sie sterben wird. Nein, sterben könnte. Ich muss dringend dafür sorgen, dass sie überlebt. Sonst ist das hier alles umsonst. Ahny wäre sehr wütend darüber. 

Ich springe auf und ziehe mir die Kapuze wieder über den Kopf. Ein letztes Mal sehe ich sie an und lege alles in diesen Blick: All die Wut und den Hass, aber auch die Hoffnung. Dummerweise mischt sich in meine Gedanken die Erinnerung an unsere gemeinsame Nacht, die noch nicht geschehen ist. Diese Vision ist jetzt nicht mehr blass und verschwommen, nein, sie ist klarer denn je. Und je länger ich sie betrachte, ihre perfekten Lippen, ihre frühlingsgrünen Augen, desto mehr wird mir bewusst, dass aus meiner Vision das reinste Verlangen wird. Ich muss hier weg. Sofort.

Blossom Chill Academy

Am 2. Februar geht es an dieser Stelle weiter. Du willst die Fortsetzung nicht verpassen? Dann abonnier fix meinen Newsletter.

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